Florian arbeitet nun schon knapp ein Jahr als Abteilungsleiter bei IT-Solutions, einem mittelständigen Unternehmen für IT-Lösungen. Doch seit seinem Antritt in der Firma hat er das Gefühl, dass Projekte in seiner Abteilung ineffektiv bearbeitet werden. Nach sorgfältiger Beobachtung kommt er zu dem Schluss, dass die Schnittstellen zwischen den einzelnen Projektmitarbeitern die Ursache für dieses Problem sind. Weitergegebene Arbeit wird vom nächsten Mitarbeiter vorsichtshalber auf Fehler geprüft und die Schritte des vorherigen Bearbeiters nachvollzogen. Durch diesen Mehraufwand gehen der Abteilung monatlich wertvolle Arbeitsstunden verloren. Doch wie kann Florian das gegenseitige Vertrauen seiner Mitarbeiter fördern?

Was ist Vertrauen?

Vertrauen ist die größte Ehre, die Mann einem Menschen antun kann

Matthias Claudius (1740-1815)

Doch lässt sich Vertrauen auch wissenschaftlich definieren?

Nach Nölke (2009) wird Vertrauen benötigt, sobald Menschen sich für eine Handlung entscheiden, deren Ausgang nicht ihrer Kontrolle unterliegt. Es wird sich also auf die Handlung (oder eben Nicht-Handlung) von anderen verlassen. Florians Mitarbeiter müssen somit darauf zählen können, dass die Kollegen zuvor ihre Arbeit sorgfältig erledigt haben und dass ohne Probleme mit deren Ergebnissen weitergearbeitet werden kann.

Luhmann zur Folge (1968) zieht Vertrauen stets eine kritische Alternative mit ein, bei deren Eintritt (Vertrauensenttäuschung) der Schaden größer sein kann als der durch den Vertrauenserweis gezogenen Vorteil. Das wäre in unserem Fall ein kritischer Fehler in der weitergegebenen Arbeit, der die Ergebnisse des nachgestellten Mitarbeiters und gegebenenfalls das gesamte Projekt gefährden könnte. Die Angst vor einem solchen Fehler bedingt den zusätzlichen Arbeitsaufwand (Nachprüfung), dessen Folge die Ineffektivität der Abteilung ist. Vertrauen geht weiterhin mit einer freiwilligen oder unausweichlichen Abgabe von Kontrolle des Vertrauenden an einen Vertrauten einher. Deshalb ist Vertrauen durch Unsicherheiten gerahmt und macht grundsätzlich verletzlich. In Florians Abteilung ist es elementar, dass sich die Mitarbeiter eigentlich auf die Ergebnisse der Kollegen verlassen und Vertrauen in diese und deren Tätigkeiten haben.

Komplexität und Vertrauensvorschuss

Die Fülle und Variabilität an Möglichkeiten, die durch eine Handlung theoretisch eintreten können, vom menschlichen Geist aber nicht vollständig erfasst und analysiert werden, nennt man Komplexität. Die Reduktion dieser schützt den Menschen vor zukünftiger Überforderung und ist somit notwendig „um zum Überleben“ (Fladnitzer, 2006, S. 26) beizutragen. Wegen der Vorwegnahme der Zukunft (Vertrauender übergibt die Entscheidung an den Vertrauten) gilt Vertrauen als eine wirksame Form der Reduktion dieser Komplexität (Luhmann, 1968/1973). Daher erhöhen Vertrauensfördernde Maßnahmen auch die allgemeine Lebensqualität. Diese Einschätzung wird von Möllering bekräftigt, nach welchem Vertrauen Menschen erst handlungs-, beziehungs- und gesellschaftsfähig macht. Ihm zu folge verkümmern einzelne Personen, soziale Netzwerke und ganze Gesellschaften ohne Vertrauen und positive Erwartungen (2007). Durch die Etablierung einer Vertrauenskultur in Florians Abteilung wird zum einen die Effektivität der Abteilung steigen (Vermeidung von Zusatzaufwand), zum anderen werden aber auch positive Auswirkungen auf das Arbeitsklima sowie die Lebensqualität der Angestellten zu sehen sein (Reduktion der Komplexität).

In einem Forschungsbericht des Max-Planck-Instituts von 2006 wird versucht, eine wissenschaftliche Fundierung des Konstruktes Vertrauen zu erarbeiten. Das „Aufheben von Ungewissheit“ wird hier als Kern von Vertrauen hervorgehoben. Dabei ist die Reversibilität dieses Prozesses zu betonen, denn durch Vertrauen kann Ungewissheit zwar ausgeblendet oder in eine positive Fiktion verzerrt werden, ist aber dennoch vorhanden.  Folglich wird dem Vertrautem ein Vertrauensvorschuss („leap of faith“) seitens des Vertrauenden eingeräumt. Erst beim Erfüllen der positiven Erwartungen führt dieser „Vorschuss“ dann zum eigentlichen Vertrauen. Doch wie kann Florian seine Mitarbeiter motivieren, sich gegenseitig diesen Vertrauensvorschuss zu gewähren?

Drei Perspektiven des Vertrauensaufbau

Bei der Konzeption von Vertrauen lassen sich drei Perspektiven identifizieren, die verschiedene Ansätze des Vertrauensaufbaus ansprechen. Es ist das vernunftbasierte von dem routine- und dem erfahrungsbasierten Vertrauen zu unterscheiden. Während beim vernunftbasierten Vertrauen die Entscheidung des Vertrauenden rational ist und nach messbaren Kriterien erfolgt, beruht das routinebasierte Vertrauen auf Gewohnheiten und Selbstverständlichkeit und ist somit implizit. Die dritte Perspektive (erfahrungsbasiert) sieht Vertrauen als das Ergebnis von Reflexivität und beschreibt Vertrauensaufbau als einen kontinuierlichen Lernprozess, bei welchem Verallgemeinerung eine wichtige Rolle spielt.

Beim Aufbau von Vertrauen in der Praxis stehen die drei Perspektiven in einem engen wechselseitigen Zusammenhang und können kompensatorisch, additiv oder relativierend wirken. Um eine nachhaltige Grundlage von Vertrauen zu schaffen ist es deshalb erforderlich, diese drei Perspektiven gleichzeitig zu betrachten (Möllering, 2007).

Abhängig von der jeweiligen Perspektive werden unterschiedliche Maßnahmen und Möglichkeiten der Förderung von Vertrauen vorgestellt.

Vernunftbasiertes Vertrauen

Kompetenz, Wohlwollen und Integrität des Vertrauten sind bei der rationalen Vertrauensentscheidung ausschlaggebende Kriterien. Es empfiehlt sich, bestimmte Anreize und Incentives zu schaffen, welche die Entscheidung zu Vertrauen begünstigen und gleichzeitig Signale zu senden, welche die Vertrauenswürdigkeit des Vertrauten bekräftigen. So bietet es sich in Florians Abteilung an, die Kompetenz und Benevolenz (Wohlwollen) der einzelnen Kollegen hervorzuheben. Sprechen die Mitarbeiter sich untereinander hohe fachliche Kompetenz zu, können sie sich auch auf die produzierten Ergebnisse der Kollegen verlassen. Eine Nachprüfung würde obsolet und es könnten wertvolle Arbeitsstunden gespart werden. Auch die Benevolenz kann durch das Betonen des gemeinsamen Ziels gestärkt werden.

„Wir arbeiten alle am gleichen Projekt und wollen das bestmögliche Ergebnis abliefern!“

Da die vernunftbasierte Entscheidung je nach Präferenzen, Nutzen und Interessen (Persönlichkeit) des Vertrauenden sehr unterschiedlich ausfallen kann, ist zusätzlich eine individuelle Berücksichtigung notwendig. Für bestimmte Mitarbeiter mag eine bloße Betonung der Kompetenz der Kollegen nicht ausreichen. In diesem Fall könnten Ergebnisse der Kollegen datengestützt vorgestellt und somit deren Fähigkeiten visualisiert werden.

Routinebasiertes Vertrauen

Durch die Etablierung von festen und regelmäßigen Verhaltensmustern kann routinemäßiges Vertrauen verstärkt werden. Dies kann beispielsweise durch die Implementierung von Regeln und Rollen und die erfolgreiche Akzeptanz und Verinnerlichung dieser erreicht werden. Das Ziel ist, durch Gewohnheiten ein implizites Vertrauen gegenüber dem Vertrauten zu etablieren. In Florians Abteilung sollte es daher als selbstverständlich gelten, die Arbeit der Kollegen nicht anzuzweifeln und automatisch von fehlerfreien Ergebnissen auszugehen.

Erfahrungsbasiertes Vertrauen

Diese Art des Vertrauensaufbaus ist ein stetiger Prozess, der von persönlich erlebten Situationen geprägt wird. Durch Verallgemeinerung kann Vertrauen, das auf diese Art aufgebaut wurde, auch auf neuartige Situationen übertragen werden. So wird das an einen spezifischen Interaktionspartner gekoppelte Vertrauen induktiv auf weitere Sachverhalte angewendet. Die persönlich gesammelte Erfahrung wirkt als Anker, an dem sich Vertrauende in neuen und unvertrauten Situationen orientieren. Eine Vertrauensgrundlage kann durch Anlässe, welche unbekannten Akteuren die Gelegenheit zur Interaktion geben, aufgebaut werden. Auf diese Weise kann es dann zu Generalisierungen kommen. Hat es Florian geschafft, in seiner Abteilung das Vertrauen der Kollegen untereinander zu stärken, werden diese das Gelernte auch auf neuartige Situation und damit auf neue Abteilungen mit anderen Mitarbeitern übertragen. Dieses Verhalten bildet die Grundlage für gesamtunternehmerischen Erfolg und wird sich positiv im Betriebsergebnis widerspiegeln.

Mangelndes Vertrauen ist nichts als das Ergebnis von Schwierigkeiten. Schwierigkeiten haben ihren Ursprung in mangelndem Vertrauen.

Lucius Annaeus Seneca (etwa 4 v. Chr. – 65 n. Chr.)
Quellen

Fladnitzer, Marliese; Grabner-Kräuter, Sonja (2006): Vertrauen als Erfolgsfaktor virtueller Unternehmen. 1. Aufl. s.l.: DUV Deutscher Universitäts-Verlag. Online verfügbar unter http://gbv.eblib.com/patron/FullRecord.aspx?p=748534.

Luhmann, Niklas (2009): Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Aufl., Nachdr. Stuttgart: Lucius & Lucius (UTB für Wissenschaft Soziologie fachübergreifend, 2185).

Möllering, Guido (2006): Trust. Reason, routine, reflexivity. Bingley: Emerald.

Nöllke, Matthias (2009): Vertrauen. Wie man es aufbaut, wie man es nutzt, wie man es verspielt. 1. Aufl. s.l.: Haufe Verlag (Haufe Sachbuch Wirtschaft – Band 00128, v.128).


0 Kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert