Ich liebe es, zu lernen.

Das war schon immer so und hat mir vor allem im Studium einige belustigte Bemerkungen eingehandelt, wenn ich vorfreudig in die Prüfungsphase gestartet bin. Denn es hat mir großen Spaß gemacht, mir zu Beginn der Lernphase die Lerninhalte zusammenzufassen – erstaunt darüber, wie viel ich innerhalb eines halben Jahres wieder dazu lernen durfte -, einen kreativen Lernplan zu entwickeln, in dem ich neben den wohldosierten Lernzeiten meine Pausen für Essen, Me-Time, Freunde und wochenends die obligatorischen Studipartys einplante, und mir ein konzentriertes Wohlfühl-Lernumfeld zu schaffen, in dem ich die kommenden Wochen pauken würde.

Abends legte ich mir bereit, was für den nächsten Tag auf dem Plan stand und morgens wachte ich motiviert und voller Tatendrang auf, mir nach einem ausgiebigen Frühstück neue Lerninhalte zu erschließen. Ich ließ meiner Kreativität bei der Konstruktion von Eselsbrücken und der Verknüpfung schnöder Theorien mit aufregenden, lebensrelevanten Praxisbeispielen freien Lauf, und wenn ich mich für ein Thema einmal gar nicht begeistern konnte oder es an das allseits verhasste Auswendiglernen ging, erfand ich Melodien, mit denen ich den Lernstoff verknüpfte. Eine für mich ausgesprochen wirksame Memomethode, die allerdings in vollen, totenstillen Prüfungssälen zu Schwierigkeiten beim stummen Abrufen der entsprechenden Songs führte. Nach einem erfolgreichen Lerntag legte ich mir die Unterlagen für den nächsten Tag bereit und belohnte mich damit, wonach der Sinn mir stand.

Und auch wenn ich einmal keine Motivation für das Lernen finden konnte, ließ mein Lernplan es immer zu, einen Tag auszusetzen und am kommenden Tag mit neuer Energie zu starten, anstatt mich durch einen Lerntag zu quälen und mir damit auch die Freude auf die darauf folgenden Tage zu nehmen. Ja, auch bei mir war nicht immer „eitel Sonnenschein“, denn wie in jeder guten Beziehung, ging auch mir das Lernen hin und wieder auf den Senkel. Doch auch wie in jeder guten Beziehung half ein wenig Distanz und Zeit für mich dabei, wieder Lust aufs Lernen zu entwickeln.

Umso erstaunter war ich immer über die fehlende Freude am Lernen bei Mitstudierenden, die nicht selten zur absoluten Abneigung dem Lernen gegenüber, zur Verzweiflung im Lernprozess und schließlich zur Prüfungsangst führte. Wie schade, dachte ich mir, dass so viele die Begeisterung beim Lernen gar nicht zulassen konnten, weil der innere und äußere Druck scheinbar zu groß war, um sich einmal ganz wertneutral auf die Beziehung zum Lernen einzulassen. Wie schade, dass unser Schul-, Universitäts- und auch Arbeitsumfeld eine gesunde Beziehung zum Lernen oftmals gar nicht vorsieht oder fördert.

Denn jeder kann lernen und jeder kann Lernen lieben lernen:

Wer beim Lernen Autonomie und Kompetenz erlebt, wird intrinsische Motivation erfahren, die zu Freude, Befriedigung und Selbstregulation führt und dazu anregt, sich neuen Herausforderungen, also auch neuen Lerninhalten, stellen zu wollen. Die intrinsische Motivation gilt im Gegensatz zur extrinsischen Motivation, die lediglich auf die positiven Konsequenzen einer Handlung ausgerichtet ist, als die wertvollere und pädagogisch erstrebenswertere, da sie sich auf die eine Handlung begleitenden positiven Erlebniszustände und somit auf das Tun selbst richtet (Deci & Ryan „Selbstbestimmungstheorie“)[1]

Doch wie kann ich Autonomie und Kompetenz erleben und wie kann ich mich in einem leistungsorientieren Umfeld auf intrinsische Motive konzentrieren?

Durch unsere mindsight-Walkinare kam ich wieder mit meiner ursprünglichen Profession und Passion, der Lehre im Bereich Bildungspsychologie und Didaktik in Kontakt. Neben den offenen Formaten durften wir auch ein geschlossenes Walkinar mit der ELSA-Studierendengruppe aus Konstanz anleiten, das sich speziell damit beschäftigte, wie die Studierenden gerade auch in dieser vom digitalen Studium geprägten Zeit in der Prüfungsphase nicht den Kopf verlieren und konzentriert, aber vor allem motiviert lernen können. Schnell wurde klar: Hier war kaum eine Spur von der Liebe zum Lernen zu erkennen. Wie schade, aber leider Normalität.

Wir fokussierten uns zunächst auf die Glaubenssätze, die die Studierenden hinsichtlich des Lernens mitbrachten. und waren wenig überrascht, dass diese kein gutes Verhältnis zum Lernen widerspiegelten:

Um diesen Glaubenssätzen auf den Grund zu gehen und die extrinsischen Motive zu reflektieren, die oftmals hinter ihnen standen, stellten wir den Studierenden Fragen zu ihrem Lernverhalten und identifizierten gemeinsam drei Bereiche, in denen sich die Studierenden besondere Unterstützung durch das Walkinar erhofften:

  1. Routine entwickeln & ins Lernen reinkommen
  2. Konzentriertes Lernumfeld schaffen (Ablenkung mindern, Atmosphäre verbessern, Trennung von Lernen & Privatem)
  3. Motivation & Selbstwirksamkeit stärken

Hier spiegeln sich die Problemfelder wider, die im Schul- und Universitätssystem, aber auch übertragen auf die Motivation beim Arbeiten im Wirtschaftskontext defizitär behandelt werden. Problemfelder, denen in meinen Augen durch die fachwissenschaftliche Aufklärung zu psychologischen Lern- und Leistungsmotivationstheorien und die gemeinsamen Ableitungen einfacher Implikationen für ein gelingendes Lernverhalten sinnvolle Gegenimpulse entgegengesetzt werden könn(t)en.

Durch einen Blick in die Theorie wurde den ELSA-Studierenden schnell bewusst, dass es kein Patentrezept für erfolgreiches Lernen gibt, da der kognitive Lernprozess maßgeblich vom Individuum, der Lernsituation, von früheren Erfahrungen oder auch davon abhängt, ob der Lernende eher kreativ oder analytisch veranlagt ist. Denn erfolgreiches Lernen ist aktiv, selbstgesteuert, konstruktivistisch, situiert und sozial[2]. Jeder lernt anders und damit ist es – abweichend davon, was uns die Schule, das Studium oder das Arbeitsumfeld oftmals lehrt – absolut sinnlos, sich dem Druck auszusetzen, sich beim Lernen mit anderen zu vergleichen.

Viel wichtiger ist zunächst der Fokus auf die eigenen Bedürfnisse im Lernprozess. Vielen ist die Bedürfnispyramide von Maslow ein Begriff, doch die wenigsten wissen, dass ohne die Befriedigung der Grundbedürfnisse wie Essen, Schlafen, Wohnen und soziale Kontakte die als Growth-Bedürfnisse bezeichneten Bedürfnisse gar nicht zu befriedigen sind. Dabei steht an deren Spitze Selbstverwirklichung, was das übergeordnete Ziel von Lernen und Studieren sein sollte. Viele Studierende verurteilen sich auf Grund von heteronomen, also fremdbestimmten Glaubenssätzen sogar für längere Lernpausen zum Essen oder zum Pflegen der sozialen Kontakte, dabei sind diese dem Lern- und somit dem persönlichen Wachstumsprozess absolut zuträglich, wenn nicht sogar notwendig[3].

Zum anderen sollte ein Fokus auf der eigenen Motivation liegen. Genauer gesagt darauf, wie der Lernende möglichst auch extrinsische Motive – wie z. B. die Leistungsorientierung der Gesellschaft, die Erwartungen der Eltern oder die Erwartung, nach dem Studium viel Geld zu verdienen – zu intrinsischen Motiven „umwandeln“ kann. Extrinsische und intrinsische Motivation stellen nämlich keinen direkten Gegensatz, sondern ein Kontinuum dar, welches überwunden werden kann, indem extrinsische Motivationsquellen zunächst introjiziert und später integriert werden. Dieser in der „Theorie der organismischen Integration“ ebenfalls von Ryan und Deci beschriebene Prozess der Integration der Quelle kann unter der Voraussetzung erfolgen, dass sich der Lernende mit den Werten und Zielen der Aufgabenstellung identifiziert, indem er oder sie beispielsweise die Relevanz für das Studium, den Beruf sowie den späteren Lebensweg erkennt und somit einen hohen Grad an empfundener Selbstbestimmung erreicht. Die extrinsische ist somit mit hoher intrinsischer Motivation kompatibel und wird von den Lernenden positiv erlebt[4]. Ein wichtiger Schritt hin zum angstfreien, selbstbestimmten und motivierten Lernen ist es also, sich seiner Motive bewusst zu werden: Wozu studiere ich genau dieses Fach? Was möchte ich damit erreichen? Wieso bin gerade ich dafür geeignet, dieses Ziel zu verfolgen und das Studium zu meistern?

In diesem Reflexionsprozess sind die ELSA-Studierenden darauf gestoßen, dass neben vielen extrinsischen Motiven, die wir aus Gewohnheit oftmals fokussieren, auch bereits eine Vielzahl an intrinsischen Motiven vorliegen, deren Erfüllung durch Lernen Freude und Begeisterung auslöst. Und auch extrinsische Motive wie die nach Geld und Macht zu streben konnten durch einen Perspektivwechsel und die Identifizierung mit eben diesen extrinsischen Bedürfnissen integriert werden. Anstatt sich selbst dafür zu verurteilen, die oftmals als Erwartung aus dem Elternhaus oder dem sozialen Umfeld an die Studierenden herangetragenen Motive Geld und Macht anzustreben, konnten wir im Walkinar eben diese extrinsischen Motive integrieren, indem wir Geld und Macht nicht als unangenehmes, verpöntes Ziel, sondern als zukünftige Ressourcen angenommen haben, die es den Studierenden später erleichtern werden, etwas Gutes leisten zu können.

In gerade einmal 9,5 Stunden haben wir Glaubenssätze erarbeitet und reflektiert, bildungspsychologische Basics vermittelt und individuelle Challenges zur Implikation von autonomen Gegenimpulsen zu Glaubenssätzen wie „Ich kann und mag nicht lernen“ entwickelt. Nach einer Woche der Umsetzung folgten 1,5 Stunden Follow-Up und für uns Rückmeldungen wie:

„Ich hab nicht gedacht, dass es [die Stärkung meiner Beziehung zum Lernen] so einen positiven Einfluss auf mein Leben hat“, „Die Tipps und Ratschläge werden mir helfen, Dinge neu anzugehen und erfolgreicher zu gestalten“ und „Es hat mir Handlungsoptionen gegeben und mich aus meiner Ohnmacht befreit“.

Feedbacks die mich nicht nur stolz und glücklich darüber stimmen, einigen Studierenden den Zugang zum gelingenden, motivierten Lernen ermöglicht zu haben, sondern mich vor allem stutzig mit folgenden Fragen zurückgelassen haben:

Wenn es uns gelingt, in gerade einmal 11,5 Stunden erste wichtige Impulse zum angstfreien Umgang mit Lernen zu setzen und den Weg zu ebnen, Lernen als Freude zu empfinden, wieso gibt es in unserem jahrelangen institutionalisierten Bildungsweg dann keinen Raum dafür, eine wertschätzende Beziehung zum Lernen zu entwickeln?

Wieso gibt es nicht zu Beginn eines jeden Studiums eine Veranstaltung, die über Lernprozesse aufklärt, die Angst vor dem Lernen nimmt und den Zugang zur intrinsischen Motivation am Studieren stärkt?

Wie kann es sein, dass so viele Schüler*innen, Studierende, Auszubildende und Berufstätige Angst vor Lernprozessen haben und somit in ihrem persönlichen Wachstum gehindert werden?

Und zu guter Letzt: Wieso verstehen so wenige Verantwortliche im institutionalisierten Bildungssystem, dass genau diese durch irrationale Erwartungen und destruktiven Druck erzeugte Angst vor Lernen und Leistung nicht nur die Freude am Studieren und an den wertvollen Lerninhalten nimmt, sondern im Zweifel zu Perspektivängsten, Selbstzweifeln und fehlender Motivation führt, die sich nachhaltig auch auf die Lern- und Leistungsmotivation sowie auf die Freude im späteren Beruf auswirken?

Motivierte Auszubildende und Studierende, die keine Angst vor dem Lernen haben, es vielleicht sogar lieben lernen, Kompetenz und Autonomie erfahren, weil sie sich für (auch kleine) Lernerfolge feiern und ein gesundes Verhältnis zu Fehlern haben, aus denen sie gerne lernen, werden in ihrer anschließenden Profession mutig, innovativ und vor allem glücklich voran gehen.

Als Unternehmensberaterin und Organisationsentwicklerin bedeutet das für mich, nicht allein dort anzusetzen, wo ich lediglich Symptome eines sich im Schul- und Universitätssystem entwickelten Missverhältnisses zum Lernen, Wachstum und zur Leistung behandeln kann. Vielmehr habe ich die Vision, darüber hinaus bereits im Studium oder in der Ausbildung einen Raum zu schaffen, in dem Begeisterung für eben diese Prozesse entfacht werden kann. Umso glücklicher stimmt es mich, mit René zusammen durch das Walkinar ein optimales Format für die wertneutrale, wertschätzende Begegnung mit dem eigenen Lernen geschaffen zu haben und als Dozentin für Bildungspsychologie Berater, Ausbilder und Praxisanleiter darin schulen zu können, wie sie wiederum die Freude an Lernprozessen ihrer Lernenden befeuern können.

Denn ich liebe Lernen und ich liebe es, die Liebe am Lernen zu lehren.

[1] Brandstätter, Veronika et all.: Motivation und Emotion. Springer- Verlag. Berlin/ Heidelberg 2013.

[2] Helmut Felix Friedrich / Heinz Mandl: Handbuch Lernstrategien. Hogrefe Verlag. Göttingen 2006.

[3] Brohm, Michaela/ Enders, Wolfgang: Positive Psychologie in der Schule. Die >>Glücksrevolution<< im Schulalltag. Beltz Verlag. Weinheim/ Basel 2015. 

[4] Brandstätter, Veronika et all.: Motivation und Emotion. Springer- Verlag. Berlin/ Heidelberg 2013.


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